top of page
Salvatore Princi, Kommunikationstraining

Wie ein NASA-Debakel die emotionale Intelligenz revolutionierte.


Wie ein NASA-Debakel die emotionale Intelligenz für die Raumfahrt revolutionierte

Im Oktober 1968 startete die Apollo 7 Mission, die erste bemannte Mission des Apollo-Programms der NASA, mit dem Ziel, das Apollo-Raumschiff in der Erdumlaufbahn zu testen. Die Besatzung, bestehend aus Walter Schirra, Donn Eisele und Walter Cunningham, erfüllte die technischen Ziele der Mission, aber die Reise offenbarte auch eine Reihe von Herausforderungen, die nicht technischer Natur waren.


Die Probleme begannen fast unmittelbar nach dem Start. Kommandant Schirra entwickelte eine schwere Erkältung, die sich schnell auf die anderen Crewmitglieder ausweitete. In der beengten Umgebung des Raumschiffs und unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit wurden die Symptome besonders unangenehm und störend.


Die Erkrankung führte zu Irritationen und Spannungen innerhalb der Crew. Schirra, bekannt für sein aufbrausendes Temperament, wurde zunehmend reizbar und schwierig im Umgang. Er begann, Anweisungen des Bodenkontrollzentrums in Frage zu stellen und sogar zu ignorieren.


Ein besonders markanter Moment war Schirras Weigerung, den Helm während des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre zu tragen. Diese Entscheidung war nicht nur gegen die Protokolle, sondern auch potenziell gefährlich. Sie zeigte deutlich, wie sehr sich die Beziehung zwischen der Crew und dem Bodenkontrollzentrum verschlechtert hatte.


Kommunikationsprobleme und Konflikte


Die Spannungen an Bord eskalierten zu offenen Konflikten mit dem Missionskontrollzentrum. Die Crew beschwerte sich über zu volle Zeitpläne, unvernünftige Anforderungen und mangelndes Verständnis für ihre Situation. Sie weigerten sich, bestimmte Aufgaben auszuführen, insbesondere zusätzliche TV-Übertragungen, die sie als unnötige Belastung empfanden. Diese Spannungen und die allgemeine Unzufriedenheit der Besatzung wurden über Funkkommunikation hörbar und führten zu negativen Wahrnehmungen in der Öffentlichkeit und innerhalb der NASA.


Die Kommunikation zwischen Raumschiff und Boden wurde zunehmend angespannt und teilweise sogar feindselig. Die Astronauten reagierten oft sarkastisch oder gereizt auf Anweisungen und Fragen. Diese Verhaltensweisen waren im Kontext der NASA-Missionen, die normalerweise von strikter Disziplin und klarer Hierarchie geprägt waren, höchst ungewöhnlich.


Obwohl die Apollo 7 Mission ihre technischen Ziele erreichte und wichtige Daten für zukünftige Mondmissionen lieferte, hinterliess das Verhalten der Crew einen bitteren Nachgeschmack. Die NASA-Führung war schockiert über den Mangel an Disziplin und Professionalität, den die Astronauten gezeigt hatten.


Die Konsequenzen waren erheblich. Keiner der drei Astronauten flog je wieder ins All. Ihre Karrieren bei der NASA waren effektiv beendet.


Diese Erfahrung zeigte deutlich, wie wichtig nicht nur technische Fähigkeiten, sondern auch zwischenmenschliche Kompetenzen und emotionale Intelligenz für den Erfolg solch komplexer Unternehmungen sind.


Der NASA wurde schlagartig klar, dass sie etwas ändern musste. Sie brauchte künftig Astronauten, die ihre Gefühle unter Kontrolle haben. Leute, die sensitiv für die Emotionen anderer sind und die Fähigkeit besitzen, eine emotionale Verbindung zu anderen herzustellen, selbst wenn sie sich unter höchstem Druck befinden – in einem eingeengten Raum, tausende Kilometer über der Erde schwebend.



Fokus auf Sozialkompetenzen


Ungefähr zur gleichen Zeit, als dieses Debakel der Apollo 7 Mission stattfand, engagierte die NASA den Psychologen Dr. Terry Maguire, der sich insbesondere mit der Auswahl und Betreuung von Astronauten auseinandersetzen sollte. Er war Teil des medizinischen Teams, das die psychologische Eignung und Vorbereitung der Astronauten evaluierte.


Während der nächsten Jahre prüfte Dr. Maguire potenzielle Kandidaten und hielt nach Anzeichen bei Astronauten Ausschau, die auf allfällige Depressionen oder Streitsucht hindeuteten. Dieser Ansatz konzentrierte sich primär darauf, psychologische Schwächen oder potenzielle Probleme zu identifizieren und auszuschliessen.


Mit zunehmender Komplexität, Intensität und Dauer der Raumfahrtmissionen erkannte Dr. Maguire, dass es nicht mehr ausreichte, lediglich psychologische Schwächen bei den Kandidaten auszuschliessen. Vielmehr musste er aktiv nach Bewerbern suchen, die über ausgeprägte positive Eigenschaften verfügten – quasi das Gegenteil der bisher identifizierten Schwächen.


Dr. Maguire definierte nun mehrere Schlüsselkriterien für die Auswahl zukünftiger Astronauten. Kandidaten mussten beweisen, dass sie in Hochstressumgebungen emotional intelligent funktionieren konnten. Gleichzeitig wurden für Langzeitmissionen Astronauten benötigt, die lange Perioden der Isolation und Enge ohne negative psychologische Folgen bewältigen konnten.


Die Lehren aus der Apollo 7 Mission unterstrichen zudem die Bedeutung klarer und respektvoller Kommunikation in Stresssituationen. Daher suchte Maguire nach Kandidaten mit ausgezeichneten kommunikativen Fähigkeiten. Somit rückten Teamfähigkeit und Konfliktlösungskompetenz in den Vordergrund. Diese neue Herangehensweise markierte einen Paradigmenwechsel in der Astronautenauswahl: Vom Ausschluss potenzieller Problemfälle hin zur gezielten Suche nach Kandidaten mit herausragenden psychologischen und sozialen Kompetenzen.



Die Herausforderung in der Astronautenauswahl


Dr. Maguire war sich jedoch der Herausforderung bewusst, Kandidaten mit den gewünschten Qualitäten zu identifizieren. Sein Hauptproblem bestand darin, dass die psychologischen Bewertungen der Astronautenanwärter oft sehr ähnliche Ergebnisse lieferten. Trotz verschiedener psychologischer Tests und gezielter Fragestellungen gelang es ihm nicht, tief genug in die Psyche der Bewerber vorzudringen, um verlässlich vorherzusagen, wie sich jemand während einer sechsmonatigen Hochstress-Mission im Weltraum verhalten würde.


Die Bewerber schienen genau zu wissen, welche Antworten in den Bewerbungsgesprächen erwartet wurden. Sie waren darin geübt, ihre Schwächen diplomatisch zu schildern, vergangene Fehler reflektiert darzustellen und überzeugend zu erklären, wie sie mit Stress umgehen würden. Diese wohlvorbereiteten Antworten machten es Dr. Maguire schwer, zwischen tatsächlich emotional intelligenten Kandidaten und jenen zu unterscheiden, die diese Fähigkeit lediglich vortäuschten.


Zu seinem Bedauern musste Dr. Maguire feststellen, dass die herkömmlichen Eignungstests und Interviewmethoden nicht ausreichten, um eindeutige und aussagekräftige Unterschiede zwischen den Kandidaten herauszuarbeiten.


Angesichts dieser Erkenntnis sah sich Dr. Maguire gezwungen, seine Herangehensweise grundlegend zu überdenken und quasi bei null anzufangen.



Eine unerwartete Entdeckung


In seinem Bestreben, die Astronautenauswahl zu verbessern, unternahm Dr. Maguire eine umfassende Analyse der Audioaufzeichnungen von Bewerber-Interviews der letzten zwei Jahrzehnte. Sein Ziel war es, bisher übersehene Hinweise zu entdecken, die emotional intelligente Kandidaten von anderen unterscheiden könnten.


Dank seines Zugriffs auf die Personalakten konnte er die Entwicklung der ausgewählten Astronauten verfolgen. Er wusste, wer sich zu einer starken Führungspersönlichkeit entwickelt hatte und wer aufgrund von Anpassungsschwierigkeiten aussortiert wurde.


Bei der genauen Untersuchung der Aufnahmen fiel Dr. Maguire ein bisher unbeachtetes Detail auf: Einige Kandidaten lachten auf eine besondere Art und Weise – sie lachten über Dinge, die objektiv betrachtet nicht lustig waren.


Auf den ersten Blick mag die Beachtung des Lachens trivial erscheinen. Doch tatsächlich offenbart unser Lachen fundamentale Wahrheiten über unsere emotionale Kommunikationsfähigkeit. In der empathischen Kommunikation geht es nämlich nicht nur darum, die Gefühle anderer wahrzunehmen, sondern auch darum, zu zeigen, dass man sie verstanden hat. Lachen wird so zu einem Indikator dafür, dass wir die Gefühlslage unseres Gegenübers erfassen und darauf reagieren.


Die entscheidende Frage, der Dr. Maguire nun nachging, war: Welche Bedeutung hat es, wenn Kandidaten über scheinbar nicht lustige Dinge lachen? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf ihre emotionale Intelligenz und ihre Eignung für die extremen Herausforderungen der Raumfahrt ziehen?



Die Bedeutung eines Lächelns


Dr. Robert R. Provine, ein renommierter Neurowissenschaftler und Psychologieprofessor an der University of Maryland, revolutionierte mit seinen Forschungen unser Verständnis des Lachens. Seine Studien offenbarten, dass Lachen oft nicht als Reaktion auf offensichtlichen Humor auftritt, sondern vielmehr in alltäglichen Gesprächen an unerwarteten Stellen – etwa nach banalen Kommentaren. Provine erkannte, dass Lachen primär soziale Funktionen erfüllt, wie das Signalisieren von Zugehörigkeit oder das Entschärfen von Spannungen.


Diese Erkenntnisse lieferten Dr. Maguire den entscheidenden Kontext für seine Beobachtungen bei Astronautenkandidaten. Er stellte fest, dass das Lachen über scheinbar nichtlustige Dinge ein Indikator für emotionale Intelligenz und soziale Anpassungsfähigkeit sein könnte. Kandidaten, die diese Art des Lachens zeigten, schienen besonders befähigt, subtile emotionale Nuancen wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, was eine Schlüsselkompetenz für das Leben und Arbeiten unter den extremen Bedingungen im Weltraum ist.


Basierend auf diesen Einsichten entwickelte Dr. Maguire neue Interviewtechniken und Simulationen, die gezielt diese Form der emotionalen Kommunikation erfassten. Er achtete nun verstärkt auf nonverbales Verhalten und mimische Ausdrücke der Bewerber, insbesondere auf ihre Fähigkeit, eine authentische emotionale Verbindung herzustellen.


Dr. Maguire fasste seine Erkenntnisse so zusammen*:

«Nahezu alle ausgewählten Astronauten haben eine starke kognitive Basis, aber nur eine Minderheit besitzt ein grosses Bewusstsein oder Sensibilität auf emotionaler Ebene.»

Für ihn war nicht die Art der gezeigten Emotionen entscheidend, sondern «wie» sie ausgedrückt wurden. Ob ein Kandidat seine Gefühle schnell und offen zeigte oder eher zurückhaltend wirkte, war weniger wichtig als die Fähigkeit, auf die Emotionen anderer zu reagieren, diese zu spiegeln und sich der Energie und Stimmung des Gegenübers anzupassen.


Bei seinen Beobachtungen stellte Dr. Maguire fest, dass diese emotionale Anpassung bei einigen Kandidaten instinktiv zu geschehen schien, bei anderen wie eine erlernte Fähigkeit wirkte, während bei manchen keinerlei Anpassung erkennbar war. Diese Unterschiede ermöglichten es ihm, die Bewerber in zwei Hauptgruppen zu unterteilen: jene, die mühelos eine emotionale Verbindung zu anderen herstellen konnten, und solche, die unter Stress dazu neigten, sich zurückzuziehen, defensiv zu reagieren oder sogar Aggressivität zu zeigen.


Diese Beobachtungen waren von entscheidender Bedeutung, um Kandidaten zu identifizieren, die ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten auch unter den extremen Bedingungen des Weltraums bewahren konnten. Die Fähigkeit zur emotionalen Resonanz und Anpassung wurde für Dr. Maguire zum Schlüsselindikator für die Eignung potenzieller Astronauten.


Die Verbindung von Provines neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über das Lachen mit Maguires praktischen Beobachtungen führte zu einem Wandel in der Astronautenauswahl. Emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz rückten in den Vordergrund und wurden zu entscheidenden Kriterien neben den traditionellen kognitiven und physischen Anforderungen. Dieser ganzheitliche Ansatz zielte darauf ab, Astronautenteams zusammenzustellen, die nicht nur technisch kompetent, sondern auch emotional resilient und sozial anpassungsfähig waren – Eigenschaften, die für den Erfolg und das Wohlbefinden während langer Weltraummissionen unerlässlich sind.



Lektionen in emotionaler Intelligenz


Die Erkenntnisse aus Dr. Maguires Forschung zur Astronautenauswahl können dir wertvolle Einsichten für deine täglichen Interaktionen bieten. Oft fällt es dir vielleicht schwer, die genauen Emotionen deines Gegenübers zu entschlüsseln – manchmal sind sich die Personen ihrer eigenen Gefühlslage nicht einmal bewusst. Anstatt zu versuchen, spezifische Emotionen zu identifizieren, ist es effektiver, wenn du dich auf zwei Grundaspekte konzentrierst: die Stimmung (positiv oder negativ) und das Energieniveau (hoch oder niedrig).


Hier ist eine praktische Anwendung für dich:


  1. Beobachte die Stimmung und Energie deines Gesprächspartners.

  2. Versuche, deine eigene Stimmung und Energie anzupassen oder zu «matchen».

  3. Sollte eine direkte Anpassung unangemessen erscheinen, zeige zumindest, dass du die Gefühlslage des anderen wahrnimmst und verstehst.

Diese Herangehensweise signalisiert deine Empathie und deinen Willen zur emotionalen Verbindung. Sie schafft eine Basis für effektivere Kommunikation und tieferes Verständnis.


Aber genauso ist es wichtig, dass du auch die Reaktionen anderer auf deine eigenen emotionalen Ausdrücke beobachtest. Achte deshalb darauf, ob deine Gesprächspartner versuchen, sich deiner Energie (hoch oder niedrig) und Stimmung anzugleichen (positiv oder negativ). Das kann dir Aufschluss über deren emotionale Intelligenz und Fähigkeit zur Empathie geben.


Indem du diese Lektionen aus der Astronautenauswahl in deinen Alltag integrierst, kannst du deine zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern, effektiver kommunizieren und ein harmonischeres Miteinander fördern. Diese Fähigkeiten sind nicht nur im Weltraum von Bedeutung, sondern in jedem Aspekt deines persönlichen und beruflichen Lebens.


Diese Erkenntnis über das Lachen hat jedoch noch eine ganze andere Dimension, die gerade in Konfliktsituationen entscheidend sein kann. Wer im falschen Moment lacht, macht sich angreifbar.


Was es damit auf sich hat, erfährst du hier: Warum Lachen angreifbar macht.


 
*Diese faszinierende Geschichte von Dr. Maguire und seinen Erkenntnissen über emotionale Intelligenz in der Astronautenauswahl entstammt dem Buch:«Supercommunicators: How to Unlock the Secret Language of Connection» von Charles Duhigg. Duhigg, bekannt für seinen Bestseller «Die Macht der Gewohnheit», bietet in diesem Werk tiefgehende Einblicke in die Kunst der effektiven Kommunikation und zwischenmenschlichen Verbindung.

 

Onlinekurs:

Strategien und Tipps für mehr Empathie und Sozialkompetenz, vertrauensvollere Beziehungen und professionellere Gespräche.


Mut zur Konfrontation



bottom of page