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Salvatore Princi, Kommunikationstraining

Das alte Lied der flachen Hierarchien.

Aktualisiert: 2. Feb.


Die Illusion flacher Hierarchien –oder was Frauen und Männer voneinander wissen sollten.

Die Machtkämpfe flacher Hierarchien.


Flache Hierarchien gelten in der modernen Arbeitswelt zunehmend als Ideal. Die Annahme dahinter: Weniger formale Machtunterschiede fördern automatisch eine offenere, gleichberechtigtere Kommunikation. Doch diese Vorstellung ignoriert eine zentrale Dynamik menschlicher Interaktion – die unausgesprochenen Regeln, die unser Kommunikationsverhalten prägen.


Die Soziolinguistin Deborah Tannen unterscheidet zwischen zwei grundlegenden Kommunikationsstilen: der symmetrischen (horizontalen) und der asymmetrischen (vertikalen) Kommunikation. Während horizontale Kommunikation auf Gleichwertigkeit und Zugehörigkeit setzt, betont vertikale Kommunikation Status und Machtunterschiede. Diese Unterscheidung ist entscheidend für das Verständnis von Gesprächs- und Machtstrukturen in Unternehmen.


In flachen Hierarchien werden formale Machtstrukturen zwar reduziert, doch die Herausforderungen im zwischenmenschlichen Umgang bleiben bestehen. Machen wir uns nichts vor: Ein flache Hierarchie ist immer noch eine Hierarchie. Denn selbst wenn offizielle Hierarchien abgebaut werden, existieren weiterhin implizite Rangordnungen – oft in Form unbewusster Kommunikationsmuster. Diese können zu Spannungen führen, wenn sie nicht erkannt und reflektiert werden.


Ein Beispiel: Eine Person, die in einer vertikal geprägten Kommunikationskultur sozialisiert wurde, könnte in einem egalitär orientierten Umfeld Schwierigkeiten haben, ihren Platz zu finden. Ihr direkter, statusbewusster Stil könnte als dominant oder übergriffig wahrgenommen werden. Umgekehrt kann eine Person mit stark horizontaler Orientierung, die Gleichwertigkeit und Gemeinschaft betont, in einer Umgebung mit verdeckten Hierarchien ins Hintertreffen geraten – besonders, wenn Statusspiele subtil, aber wirkungsvoll eingesetzt werden.


Die Vorstellung, dass flache Hierarchien automatisch für eine gerechtere Kommunikation sorgen, ist daher eine Illusion. Solange unbewusste Muster unreflektiert bleiben, entstehen Unsicherheiten, Missverständnisse und Konflikte – selbst in Teams, die sich als offen und gleichberechtigt verstehen.



Flache Strukturen, verborgene Machtspiele.


Es wäre naheliegend anzunehmen, dass in einem Umfeld mit flachen Hierarchien kaum vertikal orientierte Personen zu finden sind – zumal solche Strukturen tendenziell offene, egalitäre Kommunikationsstile begünstigen, die nicht mit traditionellen, hierarchisch geprägten Rollenbildern in Einklang stehen.


Doch diese Vorstellung greift zu kurz. Zum einen ist die Kommunikationspräferenz eines Menschen nicht allein durch Geschlecht oder berufliche Erfahrung bestimmt. Zum anderen bedeutet eine offiziell flache Hierarchie nicht, dass informelle Machtstrukturen und vertikale Kommunikationsmuster verschwinden. Im Gegenteil: Einfluss und Status ergeben sich oft nicht mehr aus einer klar definierten Rangordnung, sondern aus anderen Faktoren – etwa persönlichen Netzwerken, fachlicher Expertise oder schlicht aus dem menschlichen Bedürfnis nach Anerkennung und Wirkung.


Deshalb ist es keineswegs überraschend, dass vertikal geprägte Kommunikationsstile auch in flachen Hierarchien fortbestehen. Vielmehr zeigt sich hier die Notwendigkeit, sich dieser Dynamiken bewusst zu werden und mit ihnen gezielt umzugehen. Denn je subtiler die Rangunterschiede sind, desto schwieriger wird es, sie zu erkennen – und desto stärker können sie unbemerkt die Interaktionen beeinflussen.


Ein solches Umfeld begünstigt zudem passive Aggression. Wenn Hierarchien nicht offen anerkannt oder benannt werden, bleibt oft unklar, wer tatsächlich Verantwortung trägt oder wer das letzte Wort hat. Dadurch entstehen unterschwellige Machtkämpfe, die sich nicht in direkter Konfrontation, sondern in Verzögerungen, subtilem Widerstand oder fehlender Kooperationsbereitschaft äussern. Personen, die sich übergangen fühlen oder keinen klaren Weg sehen, ihre Position offen zu vertreten, können auf indirekte Strategien zurückgreifen – sei es durch ausweichende Kommunikation, Verzögerungstaktiken oder das gezielte Zurückhalten von Informationen.


Ohne klare Strukturen bleibt es zudem oft ungesagt, was als «angemessen» oder «erwartet» gilt. Das führt dazu, dass Kritik oder Unzufriedenheit nicht offen geäussert, sondern durch sarkastische Bemerkungen, Verweigerungshaltung oder versteckte Schuldzuweisungen vermittelt wird. Gerade in Teams, die auf harmonische Zusammenarbeit setzen, kann passive Aggression schwer fassbar bleiben, da sie sich nicht durch offene Konflikte, sondern durch subtile Frustration ausdrückt.


Flache Hierarchien bieten viele Chancen, doch ohne ein Bewusstsein für diese Dynamiken können sie leicht zum Nährboden für versteckte Konflikte werden. Wer sich auf offene Kommunikation und Transparenz konzentriert, kann nicht nur verdeckte Machtspiele entschärfen, sondern auch passive Aggression frühzeitig erkennen und ihr entgegenwirken.



Reality-Check.

«In jeder Organisation gibt es zwei Organigramme: das offizielle und das wirkliche.» – Peter F. Drucker

Die Idee, dass flache Hierarchien zu offenerer und gleichmässigerer Kommunikation führen, klingt überzeugend – doch die Realität sieht oft anders aus. Offizielle Strukturen mögen sich verändern, doch informelle Machtverhältnisse und gewohnte Kommunikationsmuster bleiben bestehen.


Ein Beispiel: Ein erfahrener Manager wechselt aus einer traditionell hierarchischen Organisation in ein Start-up mit flacher Struktur. Hier wird erwartet, dass alle Teammitglieder sich aktiv an Entscheidungen beteiligen. Doch seine direkte, entschlussfreudige Art könnte schnell als autoritär oder übergriffig empfunden werden. Anstatt als Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden, stösst er auf Widerstand – nicht, weil seine Kompetenz infrage steht, sondern weil sein Kommunikationsstil nicht mit den informellen Normen des Teams harmoniert.


Umgekehrt kann eine junge Fachfrau, die in einem Umfeld mit gleichberechtigter Kommunikation sozialisiert wurde, in einem Projekt mit einem vertikal orientierten Kollegen aus einer traditionellen Unternehmensstruktur Schwierigkeiten haben. Dessen klare Anweisungen und autoritätsbetonte Sprache könnten für sie einschränkend oder respektlos wirken. Während er die Struktur als effizient betrachtet, empfindet sie sie als einengend – und Frustrationen sind vorprogrammiert.


Diese Beispiele zeigen: Es reicht nicht, eine flache Hierarchie einzuführen und darauf zu vertrauen, dass dadurch automatisch eine harmonische Zusammenarbeit entsteht. Ohne Bewusstsein für implizite Machtstrukturen und unterschiedliche Kommunikationsstile bleiben Missverständnisse und Spannungen bestehen – unabhängig von der offiziellen Organisationsform.



Die missverstandene Kampfzone der Geschlechter.


Die Herausforderungen, die entstehen, wenn horizontale (mehrheitlich weiblich geprägte) und vertikale (mehrheitlich männlich geprägte) Kommunikationsstile in Organisationen aufeinandertreffen, sind vielschichtig und komplex.


Horizontale Kommunikation setzt auf Gleichwertigkeit und gemeinschaftliche Interaktion. Sie fördert Offenheit und Zusammenarbeit, indem sie Entscheidungen durch Konsens trifft und die Meinungen aller Beteiligten einbezieht. Vertikale Kommunikation hingegen basiert auf klaren Machtunterschieden und einer hierarchischen Struktur, in der Anweisungen und Entscheidungen typischerweise von oben nach unten weitergegeben werden.


Keiner dieser Kommunikationsstile ist dem anderen überlegen. Beide haben ihre Stärken und Schwächen – abhängig von Situation, Kontext und den beteiligten Personen.


Ein Teammitglied, das an horizontale Kommunikation gewöhnt ist, könnte sich übergangen fühlen, wenn Entscheidungen ohne seine Mitwirkung getroffen werden. Ebenso könnte es Schwierigkeiten haben, direkte Anweisungen zu akzeptieren, die keinen Raum für Diskussion oder Feedback lassen. Umgekehrt könnte eine Person mit vertikalem Kommunikationsstil Frustration empfinden, wenn sie sich in langwierigen Abstimmungen wiederfindet, die aus ihrer Sicht Entscheidungsprozesse unnötig verlangsamen.


Ein typisches Praxisbeispiel ist ein Projektteam mit Mitgliedern, die unterschiedliche Kommunikationsmuster verinnerlicht haben. Steht eine schnelle Entscheidung an, wird ein hierarchisch orientiertes Teammitglied möglicherweise eine klare Richtung vorgeben wollen, während eine horizontal geprägte Person erst das Feedback des gesamten Teams einholen möchte. Diese unterschiedliche Herangehensweise kann zu Spannungen führen, da sich beide Seiten missverstanden oder nicht wertgeschätzt fühlen.


Diese Herausforderungen erfordern ein hohes Mass an Bewusstsein und Anpassungsfähigkeit. Moderne Führungskräfte – Frauen wie Männer – sollten darin geschult sein, ein Gleichgewicht zu schaffen, in dem verschiedene Kommunikationsstile nicht nur respektiert, sondern gezielt genutzt werden. Entscheidend ist, die Stärken beider Ansätze zu erkennen und sie so zu kombinieren, dass das Team von beiden profitiert – während Missverständnisse minimiert werden.



Altes Lied, neue Töne.


Stefan Kühl, Autor von «Wenn die Affen den Zoo regieren», schreibt in seinem Werk:

Die Forderung nach einer Enthierarchisierung von Organisationen findet sich bereits bei der Managementvordenkerin Mary Parker Follett (1941), die schon vor Jahrzehnten verlangte, dass die «vertikale Autorität» in Organisationen durch eine «horizontale Autorität» ersetzt werden solle.

Das zeigt, wie alt das Lied der flachen Hierarchie ist, das wir ständig spielen und uns immer wieder stets als Neuverpackung präsentiert wird. Es wird sich aber nichts Grundlegendes ändern, solange nicht die tieferen Ebenen der menschlichen Interaktion und Kommunikation verstanden und angegangen werden.


Diese Einsicht wirft ein Licht darauf, wie entscheidend es ist, nicht nur die Strukturen zu ändern, sondern auch die Art und Weise, wie wir innerhalb dieser Strukturen miteinander kommunizieren und interagieren.


Es wird deutlich, dass der Schlüssel zu einer erfolgreichen Umsetzung von flachen Hierarchien nicht allein in der Abschaffung traditioneller Machtstrukturen liegt, sondern vielmehr in der bewussten Gestaltung der Kommunikations- und Interaktionsweisen innerhalb dieser Strukturen. Indem Organisationen aktiv an der Entwicklung einer vielfältigen und verständnisvollen Kommunikationskultur arbeiten, können sie eine Umgebung schaffen, in der sowohl das Unternehmen als auch seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gedeihen können.



 

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